22.06.2023 - Thunderstorm Outbreak in Mitteldeutschland


Der Juni 2023 machte in den ersten drei Wochen Schlagzeilen als einer der trockensten und sonnigsten Sommermonate seit Aufzeichnungen. Regional wurde die durchschnittliche Monats-Sonnenscheindauer schon kurz nach Monatsmitte erreicht, in einigen Gebieten blieb es dabei komplett trocken. Das sollte sich abrupt ändern, als sich ab dem 20.06. feuchtere und labilere Luftmassen Mitteleuropa annäherten und für lokal kräftige Gewitter sorgten. Der Fokus lag dabei aber schon früh in den Prognosen auf dem 22. Juni., die Wettermodelle berechneten bereits Tage zuvor eine potenziell gefährliche Unwetterlage mit hohen Energiewerten, starker Scherung und verbreiteter Auslöse von Gewittern mit entsprechenden Begleiterscheinungen wie großem Hagel, schweren Sturmböen und auch der Gefahr von Tornados. 


Was sich aus diesem Setup nun am Ende ergab, lässt sich von unserer Seite aus nur zusammenfassen als den heftigsten und beeindruckendsten Gewittertag unserer "Karriere" und als das mit großem Abstand erfolgreichste und nervenaufreibendste StormChasing, welches wir in den letzten elf Jahren erleben durften.


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Noch am Morgen ist in den Lokalmodellen nicht klar abzusehen, wie weit die Gewitter abends nach Norden ausgreifen werden. Manche Member sehen sogar das nördliche Niedersachsen noch als Schwerpunkt kräftiger Gewitter, andere Modelle berechnen einen zähen Warmfrontschirm für den Norden und somit Gewitter maximal bis nach Nordhessen / Thüringen. Wir warten die Entwicklung bis zum frühen Nachmittag ab und haben dabei eher weniger Hoffnung auf eine spannende Lage für die Regionen, die für uns vom Herzogtum Lauenburg aus zeitlich noch gut erreichbar sind. Gegen 15:30 entscheiden wir uns dafür, loszufahren, da eine sehr kräftige Superzelle vom Westerwald aus in Richtung Nordhessen zieht und damit potenziell für uns später im Raum Goslar / Braunschweig interessant werden könnte. Außerdem sehen die Modelle in dieser Region für den weiteren Verlauf des Abends nun die größten Gewitterchancen. 


Nachdem wir realisieren, dass sich diese Zellen zeitlich doch relativ früh entwickeln (im Vergleich zu den Berechnungen der Nowcast-Modelle) und wir bei Hamburg auch längere Zeit im Stau stehen, ist für uns klar, dass wir die Zelle in Nordhessen nur schwer erreichen werden. Wir kommen gegen 17:30 im Großraum Hannover an und entscheiden uns dafür, dort auf die A2 Richtung Osten zu fahren, um die Nordhessen-Zelle im weiteren Verlauf im Raum Magdeburg abzufangen. Zu unserer Überraschung entwickelt sich nun aber in einem zuvor unelektrischen Regengebiet direkt vor unserer Nase auch eine Zelle, die sich rapide verstärkt. Wir erreichen die Abfahrt auf die A2 gegen 17:50 und müssen nun einmal direkt parallel zu dieser Zelle fahren, um vor sie zu kommen.



Auch hier ist die Autobahn recht voll, da die Zellen aber nicht besonders schnell unterwegs sind, kommen wir kurz vor Braunschweig davor. Dort nehmen wir gegen 18:45 die Abfahrt Lehrte / Braunschweig-Ost und stellen uns bei Wendhausen an ein Feld. Das Ding sieht im Radar zunehmend gefährlich aus und während wir uns positionieren, warnt Kachelmann über Twitter vor extremer Rotation in Braunschweig.


Wir beobachten die Zelle, während sie direkt über Braunschweig zieht.


Schon jetzt ist klar, das ist eine der stärksten Gewitterzellen, die wir jemals beobachtet haben. Laut Radar eine glasklare Superzelle, Rotation können wir jedoch von unserem Standort nicht ausmachen. Auffällig ist der extrem grüne Niederschlagsbereich, im englischen "core". Die grüne Färbung deutet auf Hagel hin.


Die recht langsame Zuggeschwindigkeit der Zelle ist für uns sehr angenehm, so können wir die Autobahn - von unserem Standort nur 2 Minuten entfernt - einfach erreichen und nach Osten abhauen, wenn die Zelle zu nah ist. So ist zumindest der Plan. Bei einem Blick aufs Radar wird uns aber klar, dass sich mittlerweile ein deutliches Bow-Echo ausgebildet hat, das Gewitter ist nun im Radar bogenförmig angeordnet, produziert vermutlich schwere Sturmböen bis hin zu Orkanböen und nimmt so auch an Fahrt auf. Jetzt müssen wir uns ein bisschen beeilen...


Die Autobahn knickt hier nun für ein paar Kilometer nach Südosten ab, sodass wir für mehrere Minuten quer zur Zelle fahren. Und das jetzt auch noch kurz vor einem Waldgebiet. Wir haben uns etwas verschätzt und die Zelle kommt uns extrem nahe. Visuell unglaublich spektakulär, bei den nun einsetzenden Böen aber nicht ungefährlich.


Wir schaffen es tatsächlich nicht, der Zelle zu entkommen, und geraten für ein paar Minuten in den Niederschlagskern. Hagel fällt glücklicherweise nicht und die Böen halten sich hier in Grenzen. Wir erreichen hinter Helmstedt Sachsen-Anhalt und kommen wieder vor die Zelle, die jetzt sehr outflow-dominiert wirkt und sich dementsprechend auch im Radar bald etwas abschwächt. Noch vor zwei Stunden hätten wir nicht gedacht, dass uns heute so spektakuläre Aufnahmen gelingen - und erst recht nicht, dass das erst der Anfang sein sollte...


Mit gutem Abstand zur Zelle planen wir die weitere Fahrt und fokussieren uns dabei auf die zwei Zellen, die jetzt vom Harz aus Kurs auf das mittlere Sachsen-Anhalt nehmen. Bei Magdeburg nehmen wir die A14 in Richtung Süden - der Plan ist, beide Zellen abzufangen, im besten Fall so wie eben auch. Runter von der Autobahn, Fotos machen und wieder rauf.


Schon von der Autobahn aus haben wir einen guten Blick auf die nördliche Zelle, die sich durchaus sehenswert ankündigt. Kurz vor 20:00 nehmen wir südlich von Magdeburg die Abfahrt Schönebeck (Elbe) und positionieren uns bei Welsleben. 


Auch hier gehen wir vom Radar her davon aus, dass es sich um eine Superzelle handeln könnte. Das Stormtracking von Kachelmann weist zeitweise auf Rotation hin, wir können aber auch hier nichts tornadisches erkennen. 


Diesmal wollen wir der Zelle nicht zu nahe kommen, haben jetzt aber auch den Vorteil, dass wir nach Süden ausweichen können, was wir auch tun. Dabei haben wir natürlich vor allem die zweite dieser beiden Zellen im Blick, die wir jetzt etwa bei Bernburg abfangen möchten. Im Radar verstärkt sich diese gerade enorm, es handelt sich wohl wieder um eine Superzelle, und auch optisch können wir bestätigen, dass da wieder etwas Spektakuläres kommen könnte.


Nachdem nun ein paar Bäume und Lärmschutzmauern die Sicht für mehrere Minuten versperrten, liegt der markante Aufwindbereich dieser Zelle - im oberen Foto mittig rechts hinter der hellen, tiefen Wolke versteckt - plötzlich ziemlich dicht neben uns. Es wird auf einmal ziemlich dunkel und heftige Böen setzen ein. Die Dynamik in den Wolken ist unglaublich und die Szenerie erinnert uns an so manches Video aus den USA, kurz bevor sich ein Tornado entwickelt.


Wir geben etwas Gas und schaffen es gegen 20:20 knapp aus der Zugbahn der Superzelle. 


Bei Plötzkau südlich von Bernburg (Saale) machen wir einen Moment Pause und beobachten die abziehende Zelle nach Osten, auch hier wird vermutlich Hagel drin gewesen sein.


Die Dynamik am Himmel ist auch auf der Rückseite dieser Zelle wahrlich beeindruckend, man kann förmlich erahnen wie enorm die Windscherung heute ist. Wir sind ziemlich geflasht von den letzten zwei Stunden und machen erstmal eine kurze Pause. Das Wetter hingegen hat andere Pläne. Aus Nordthüringen nähert sich eine weitere, kräftige Gewitterzelle, die uns in etwas mehr als einer Stunde erreichen würde.


Wir essen und trinken etwas und planen dabei das weitere Vorgehen. Es wird bald dunkel und wir sind hier nicht ortskundig, sodass wir uns gut auf diese potenziell gefährliche Zelle vorbereiten wollen. Wir vermuten, dass sich der sehr starke Nordteil abschwächen wird, da dieser in die bereits "getroffenen" Regionen hinein ziehen wird, und dass eher der Südteil spannend sein wird, da dieser in die Regionen hinein zieht, in denen die Luft noch warm und energiereich ist. Wir fahren daher noch etwas nach Süden und positionieren uns nördlich von Halle (Saale) bei Neutz. Nun haben sich auch vorgelagert schon weitere Gewitter entwickelt, die der nachfolgenden Zelle etwas die Luft rausnehmen.


Auch diese sind im letzten Tageslicht aber schön anzusehen, eine Rollcloud entwickelt sich.


Nachfolgend kündigt sich die Zelle aus Nordthüringen bereits früh durch starkes Blitzgeflacker an, welches bei diesen Lichtverhältnissen natürlich nochmal stärker zum Vorschein kommt als tagsüber. Wir warten ab, bis sich die Zelle auf ein paar Kilometer nähert, und wollen dann erneut über die Autobahn nach Süden ausweichen.


Die Zelle ist nicht mehr so stark wie noch vor einer Stunde, kündigt sich im Licht der Blitze aber trotzdem durch eine markante Böenfront an, die wir noch kurz beobachten, bevor wir wieder auf die Autobahn fahren. 


Um uns herum löst es jetzt überall aus und der Himmel ist fast durchgehend vom Blitzgeflacker erhellt. Wir schaffen es, zwischen den Zellen zu bleiben und planen nun unsere Heimfahrt. Es ist mittlerweile nach 22:00 und wir haben knapp vier Stunden Fahrt vor uns...


Ohne Zweifel war das unser bisher spannendstes und erfolgreichstes StormChasing. Wir haben innerhalb von vier Stunden insgesamt fünf Gewitter beobachtet, davon drei absolut Spektakuläre (vermutlich drei Superzellen) mit beeindruckenden Strukturen. Was für ein Wettertag! 


Ausführliche Videodokumentation zu unserer Tour: